"Oh Gott, Delphin!" Dieser Stoßseufzer entfährt einem Master-Schwimmer, dessen Name hier nichts zur Sache tut, am vorletzten September-Wochenende im Foyer des Sporthotels von Lindow. Lindow ist ein brandenburgisches Städtchen zwischen Neuruppin, Rheinsberg und Gransee. Am Rand dieses Ortes liegt schon seit Jahrzehnten eine Sport- und Bildungsstätte, wie sich die großzügige Anlage heutzutage nennt. Diese frühere DDR-Athletenschmiede hatten sich die SC-Welle-Masters für ihr inzwischen drittes Trainingslager ausgesucht. Das Erste fand 2010 in Rabenberg im Erzgebirge statt, wo es ein Wochenende lang um das Kraulschwimmen ging. Beim zweiten Trainingslager, für das die Masters vergangenes Jahr im brandenburgischen Kienbaum eincheckten, standen das Brust- und das Rückenschwimmen im Mittelpunkt. Blieb also nur noch Delphin übrig, die seit 1953 vierte offizielle Schwimmtechnik.
Elegant, geschmeidig und schnell wie ein Delphin durchs Wasser zu gleiten, das mag der Traum eines jeden ambitionierten Schwimmers sein. Die kraftraubende, noch nicht verinnerlichte Technik drei Tage lang zu üben, erscheint dagegen erstmal weniger verlockend. Doch man muss nur die richtigen Trainer haben. Und das richtige Schwimmbad. Das 50-Meter-Becken in Lindow beispielsweise, dessen Boden sich hochfahren lässt. Die Lindower Bademeister machen das auf Bitten des SC-Welle-C-Trainers Olaf-Carsten Weiss für das Trainingslager auch gerne. Im hüfttiefen Wasser lassen sich Delphinsprünge einfacher simulieren als im ganz tiefen.
Doch bevor es das erste Mal ins Wasser geht, werden die Zimmer bezogen. Die Unterkünfte liegen - anders als in Kienbaum - zentral auf dem Gelände, die Zimmer sind hell, freundlich und zweckmäßig eingerichtet. Das erste Warmmachen in der großzügigen Turnhalle übernimmt Sabine Just vom befreundeten Berliner Schwimmverein von 1878 (BSV). Drei BSV-Schwimmerinnen nehmen in diesem Jahr am Welle-Trainingslager teil. Insgesamt sind wir zu elft. Mit leicht erwärmten, schön gedehnten Muskeln marschieren wir von der Turnhalle zum Schwimmbad. An den Wänden der langen Flure hängen unzählige Gruppenfotos von Sportlern in ihrer Kluft: von knapp begleiteten Gymnastikdamen über florettschwingende Fechter bis hin zu Box-Ringrichtern im Anzug.
Am Beckenrand und im hüfttiefen Wasser lässt uns Olaf diverse Übungen machen. Wir hüpfen delphinartig aus dem Wasser und schwimmen mal einarmig, mal wechselarmig. Wir bemühen uns, darauf zu achten, dass der kleine Finger das Wasser zuerst verlässt, die Arme gestreckt nach vorne kommen und die Hände wirklich schulterbreit eintauchen. Und natürlich versuchen wir, die Arme ohne Unterbrechung durchs Wasser zu ziehen, die früher übliche Pause nach dem Eintauchen der Hände zu vermeiden. Keinem gelingt das besser als Florian Weiß, dessen Arme rotieren wie nie gesehen. All diese Übungen sind natürlich nicht unanstrengend, aber auch nicht so kräftezehrend, wie manche befürchtet haben.
Nach dem Abendessen, das wir leider (wie andere Mahlzeiten auch) an zwei getrennten Tischen einnehmen müssen, weil es keinen gibt, an wir alle Platz haben, geht es in die Lindower Bowlingbahn. Für zwei Stunden werden die Kugeln mit den Fingerlöchern über die Bahn geschleudert - meist in Richtung der zehn Kegel, die beim Bowling Pins heißen. Unangefochtene Bowling-Königin ist Tanja Bergemann, die ihre Kugel stets auf sehr charakteristische Weise auf die Bahn donnert und dabei aber schlussendlich mehr Pins umhaut als andere mit geschmeidigerem Wurf.
Der Sonnabend beginnt sehr bewegt - mit Tischtennis in der Turnhalle. Wir fegen in einer Art Doppel-China-Runde um die zwei Platten. Ganz schnell sind wir aufgewärmt fürs Wasser. Dort setzt Olaf die Übungen fort, die er zusammen mit Hannah Beumer vorbereitet hat. Es gibt relativ viele Partnerübungen, die wohl die Konzentration und die Bewegungskontrolle schulen sollen: In immer neuen Paarungen schwimmen wir beispielsweise kraulend nebeneinander her und klatschen die innenliegenden Hände aufeinander. Gemein wird es, als wir vom großen ins kleine Becken wechseln. Im badewannenwarmen, noch niedrigerem Wasser üben wir den Delphin-Kraulzug, während uns unser Übungspartner an den Hüften festhält. Olaf schaut sich jeden Einzeln an und erklärt, was gut und was nicht so gut war. Der anschließende Sprung in das kalte Wasser des großen Beckens fällt vielen schwer. Am Abend entspannen wir unter Anleitung von Sabine Just in der Turnhalle, recht rasch setzt ein leises Schnarchen ein. Entspannung steht auch nach dem Abendessen auf dem Programm: ein Besuch der Sauna. Anschließend treffen wir uns in der im Keller gelegenen, gut gefüllten Sportlerbar samt Disco. Die Musik lässt uns rasch ins Hotel-Foyer fliehen.
Der Sonntag steht im Zeichen der Filmaufnahmen. Wie in Rabenberg gibt es auch in Lindow eine Kameraanlage, die den Schwimmer unter Wasser von der Seite und von vorne sowie von außen aufnimmt. Einer nach dem anderen steigt ins Becken, nimmt Anlauf und schwimmt delfiniernd in den Kamerabereich. Am Beckenrad sitzt der Rest der Schwimmtruppe und guckt gebannt auf den Bildschirm. Zwar sind nicht alle hundertprozentig zufrieden mit dem, was sie zu sehen bekommen. Doch das Fazit ist eindeutig: Alle sind nach zwei Tagen intensiven Übens deutlich besser geworden.
Für das letzte Mittagessen gelingt es uns, einen großen Tisch zusammenzuschieben, an dem wir alle Platz finden. Der Essensraum an sich ist licht und hübsch, die Mahlzeiten schmecken aber oft sehr nach Kantinen-Einheitsbrei. Das wird auch bei der Abschlussbesprechung auf der Terrasse vor der Kantine deutlich, bei der Florian Weiß die Arbeit der Trainer und sonstigen Mitwirkenden würdigt und wir gemeinsam den Feedback-Fragebogen ausfüllen. Die Lindower bekommen viele Kreuzchen bei "sehr gut" und "gut". Aus der Reihe fällt einzig die Qualität des Essens. Trotzdem sind wir von der Anlage so überzeugt, dass wir uns das letzte Wochenende im Oktober 2013 reservieren. Was dann auf dem Programm steht? Startsprünge und Wenden! Oh Gott.